#5 Wer (lange) feiert, muss früh aufstehen können.
Dieser ist wohl einer der undankbarsten Sprüche, die man mit Vorliebe an einem Morgen nach einer durchgefeierten Nacht, frisch und fröhlich zum Morgenkaffee serviert bekommen kann. Die Variationen dieses Spruches sind dabei allesamt zulässig, zeigen sie doch eine gewisse Schadenfreude und den „selber Schuld“-Aspekt gleichermaßen auf…
Klein-Elfriede steht früh auf … und fängt den Wurm doch nicht.
Als kleines Mädchen habe ich den Spruch ehrlich gesagt nicht so richtig verstanden. Vielleicht lag es daran, dass ich keine Ahnung hatte, was daran schwierig sein sollte, früh aufzustehen. Was war früh? Und was hatte das Aufstehen mit dem Feiern zu tun? Ich war wie (fast) fast alle kleinen Kinder früh am Morgen wach und ausgeschlafen und bereit für alle Schandtaten, die es auszuführen gab. Ich kannte es auch nur so, dass es unter der Woche ein straffes Morgenprogramm gab – völlig egal was abends passierte. Wie sollte es auch anders gehen, wenn eine Großfamilie binnen einer halben Stunden in verschiedene Richtungen mit Pausenbrot und allerlei Dingen für die Nachmittagsgestaltung gen Alltag ausschwärmen mussten. Am Wochenende gab es ebenso ein anfangs undiskutiertes Ritual, was die Aufstehzeiten beraf. Spätestens um 8 Uhr hüpften alle aus den Federn und versammelten sich zum Frühstück. Wir sind zur Hälfte eine Familie aus Morgenmufflern, wir reden nicht viel und wir sind früh auch nicht wirklich fröhlich (dazu würde ich meinen Vater, meinen Bruder und mich mal zählen). Der erste Kaffee vertreibt bei uns lediglich die Bettsehnsucht, aber schaltet noch lange nicht das Hirn an. Wir sind mit uns beschäftigt, mit dem Wachwerden, mit der aufwachenden und dringend notwendigen Motorik und Sensorik. Vielleicht habe ich deswegen nie mitbekommen, wenn jemand am Abend vorher lange gefeiert hat (wenn es denn mal einer meiner Geschwister getan hat). Denn es machte in der morgendlichen Konversation für mich keinen Unterschied.
Erst als ich älter wurde, die ersten Feierlichkeiten zu späterer Stunde genoss und dies spätestens zu Oberstufenzeiten auch mal unter der Woche, wurde das frühe Aufstehen (vor allem am Wochenende) noch beschwerlicher und das Unverständnis in Bezug auf den frühen Tagesstart größer. Jetzt betraf es ja auch mich. Aber es gab da auch eine klare Regelung: „Wer (lange) feiert, muss früh aufstehen können.“ Impliziert in klarer Weise die Lebensmaxime meiner lieben Mutter Monika, dass es keine Ausnahmen gibt in der Familientagesstruktur, nur weil einer etwas übermüdet ist und wider besserem Wissens, ob der anstehenden Dinge des Folgetages erst spät sein Haupt gebettet hat (egal ob der Grund eine Feier, oder das Geldverdienen zu später Stunde betraf). Gleiches Recht für alle bedeutete auch gleiche Pflichten für alle. So überschaubar, so klar, so unantastbar. Und aus heutiger Sicht vielleicht auch ein klein wenig nachvollziehbar, bedenkt man vier Kinder im jugendlichen Alter, zwei vollzeitarbeitende Elternteile und ein großes Haus mit Garten und der wenigen Zeit, die uns im Alltag miteinander blieb.
Der frühe Vogel kann mich mal…und trotzdem ruft der Wurm!
Auch heute gilt für mich tatsächlich im Hinterkopf noch dies, was mich bis zum Auszug aus dem mütterlichen Hause und darüber hinaus bei jeder (un)passenden Gelegenheit an Monika-Altersweisheit begleitet hat:
Voller Unvernunft bin ich trotz einer herannahenden Erkältung, wochenlangem Schlafentzug und eisiger Kälte an einem Samstag zu einer sehr schönen Feier mit Freunden aus der Unizeit gegangen, dem beinah traditionellen Weihnachtsessen mit Gans & Co. Und dies, obwohl ich drei Tage lang einen Rundumjob in Sachen Kind- und Ehemannbetreuung hatte. (Der Ehemann hat sich im Eifer der männlichen Verwirklichung dem Fussballspiel zugewandt und hat dies genau 20 Minuten erfolgreich durchlebt, bis ein Band sein Fuss verließ und er wochenlang geschient und geschmerzt die Couch hüten musste.) Nach der gemütlichen Runde, den leckersten Oma-Klösen aller Zeiten und einer rundum leckeren und fettigen Gans – und der trotz allem wie ich finde sehr vernünftigen Heimfahrt gen Mitternacht, erwartete mich am nächsten Morgen nicht nur zwei schwere Augen, sondern auch ein schmerzender Hals, eine zugeschwollene Nase und ein fröhlich quietschendes Baby und die alte Bekannte Morgenmuffeline…Der Gatte und das Kind – beide ausgeschlafen und voller Tatendrang – konnten nur wenig Verständnis aufbringen für meine Unausgeschlafenheit und ungeliebte Morgenlaune. Allerdings, und das rechne ich ihnen hoch an, sie ersparten sich das, was meine liebe Mutter Monika in solch einer Situation unter Garantie über die Lippen gekommen wäre und dennoch unausgesprochen über dem Frühstückstisch hing:
Wer (lange) feiert, muss früh aufstehen können! (oder auch: Reiß Dich zusammen!)