#3 Am Wochenende ruft man die Leute nicht vor 10 Uhr an.

Als Kind und Jugendliche hatte ich den Eindruck, dass es bei meiner Mutter wenige Regeln gab und besonders wenige, in denen Dinge verboten worden sind. An eine Regel erinnere ich mich allerdings oft und gerne zurück. Meine Mutter war der Ansicht, dass es sich nicht gehört, am Wochenende Menschen vor einer bestimmten Zeit anzurufen. Früher stellte ich den Spruch „Am Wochenende ruft man die Leute nicht vor 10 Uhr an“ nicht in Frage. Durch das generalisierende „man“ bin ich automatisch davon ausgegangen, dass dieser Spruch bei und für jede Familie gelten musste. Die Mutti-Regel war geboren. Eine richtige Begründung oder Erklärung gab es damals nicht, außer vielleicht, dass es sich eben nicht gehörte. Das ist eben so – Basta!

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Auch ohne Begründung war mir klar, was ich damit anzufangen hatte. Das Wochenende war – wie sicherlich in vielen Familien – etwas Heiliges. Waren die Werktage noch von Alltäglichem und langweiligen Routinen gezeichnet, gestaltete sich das Wochenende mit schönen Ereignissen und Außergewöhnlichem oft als Highlight der gesamten Woche. Die eigene und gemeinsame freie Zeit zu genießen und die der anderen zu respektieren gehörten da selbstverständlich dazu. Bei der Verabredung und Besprechung mit Freundinnen und Freunden galt es eben darauf zu achten, dass auch sie am Wochenende einen anderen Zeitmodus haben. Wie man selbst wollen sie ausschlafen und beim gemütlichen Frühstück nicht gestört werden. 10 Uhr schien dafür die geeignete Grenze zu sein.

Das Schöne ist, dass sich bei meiner Mutter über die Jahre hinweg, nichts an diesem Verhalten geändert hat. Ich brauche keine Angst zu haben, dass sie mich am Wochenende vor 10 Uhr anruft – und sie auch nicht! Denn heute als erwachsene Frau stelle ich fest, dass ich dieses Verhalten übernommen habe und vor allem ganz automatisch davon ausgehe, dass das andere auch so handhaben. Das stelle ich besonders dann fest, wenn mich jemand schon früh am Samstagmorgen versucht zu erreichen. Manchmal macht sich Verwunderung und hin und wieder Verärgerungen breit.

Zugegeben – ich habe (noch) das Glück, dass ich meine Wochenenden tatsächlich zum Ausschlafen nutzen kann. Die jungen Mutter und Väter in meinem Freundeskreis, die an einem Samstag schon seit 6 Uhr wach sind und wer weiß was schon erledigt haben, sind nicht gerade zu bewundern. Immer wieder stelle ich mit Erstaunen fest, was sie bereits an einem solch jungen Morgen erlebt haben.

An einem üblichen Wochenendmorgen ist Elfriede als junge Mutti oft schon ganze vier oder fünf Stunden länger wach als ich. Dabei hat sie schon tausend Dinge erlebt. Will sie etwas mit mir besprechen, weiß sie, dass sie gar nicht versuchen braucht, mich zu erreichen. Ich beneide sie nicht gerade dafür, dass sie sich damit auf meinen Zeitmodus einstellen muss. Wenn sie mir unbedingt etwas erzählen will, ist das sicherlich manchmal nicht ganz leicht. Aber was soll ich machen? Muttis Regel ist Muttis Regel!

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